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Ella Mensch (1859-1935)


Ella Mensch um 1904


„Heute Mittag um 2 Uhr entschlief sanft nach schwerem, mit grosser Geduld ertragenem Leiden unsere geliebte, sehr verehrte Freundin Fräulein Dr. Ella Mensch, Inhaberin der Grossherzoglich Hessischen silbernen Medaille für Kunst und Wissenschaft im 77. Lebensjahr. In tiefer Trauer i.A. Frau Hedda Graeber, Spandau, Ruhelener Strasse 14.“


War Hedda Graeber Ella Menschs Lebensgefährtin? Hat sie sie bis zum Tod gepflegt, oder woher wusste sie so genau um die Todesumstände ihrer Freundin Bescheid? Wir wissen es nicht.


Dass wir den Wortlaut der Todesanzeige kennen, verdanken wir Elisabeth Förster-Nietzsche (1846-1935), der Schwester und Nachlassverwalterin des Philosophen Friedrich Nietzsche. In ihrem Nachlass liegt dieses kostbare Dokument, denn mit ihr korrespondierte Ella Mensch während 29 Jahren (der Briefwechsel liegt unediert im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar).


Die Schriftstellerin, Journalistin, Privatgelehrte und Frauenrechtskämpferin Ella Mensch war eine Pionierin des Europäischen Frauenstudiums. 1859 im Lübben (Spreewald, heute: Brandenburg) geboren, legte sie 1879 in Berlin ihr Lehrerinnenexamen ab, bevor sie 1880 nach Zürich kam. Dort studierte sie vermutlich als erste Frau weltweit im Hauptfach Deutsche Sprache und Literatur. 1883 schloss sie mit einer sprachwissenschaftlichen Dissertation ihr Studium ab. Die promovierte Germanistin lebte danach lange Jahre in Darmstadt. Dort wirkte sie als Theaterreferentin beim Darmstädter Tageblatt und verdiente nebenbei auch als Lehrerin ihr Geld: Sie unterrichtete an einem Institut Deutsch und Geschichte.


Bereits 1890, im Gründungsjahr des ADLV, trat Ella Mensch dieser Lehrerinnenselbstorganisation bei, deren Vorsitz bis 1921 die Frauenrechtlerin Helene Lange (1848-1930), Lebensgefährtin von Gertrud Bäumer, innehatte.


1893 erschien Ella Menschs erste Publikation zur Frauenfrage; 1895 wirkte sie während kurzer Zeit als Vorstandsmitglied im von Hedwig Kettler (1852-1937) gegründeten „Deutschen Frauenverein Reform“ mit.


1902 erschien Ella Menschs erster Roman. Hinter der Hauptfigur Ernst Münster verbirgt sich die Autorin selbst. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Schwester der Hauptfigur zu, in der sich die Züge von Helene Lange spiegeln. Ihr gegenüber klagt der Protagonist sein Liebesleid, bevor er an gebrochenem Herzen stirbt. 1903 erschien „Auf Vorposten. Roman aus meiner Zürcher Studentenzeit“. Wieder wird eine unerfüllte Liebe thematisiert. Dieses Mal ist die Liebende, deren Zuneigung nicht erwidert wird, weiblichen Geschlechts – das Objekt der Begierde ebenfalls. Sie stirbt jedoch nicht an gebrochenem Herzen, sondern erfährt den Heldinnentod, indem sie die Angebetete vor dem Ertrinken rettet.


In ihren späteren Romanen griff Ella Mensch das Thema der lesbischen Liebe nicht mehr auf. Der gegengeschlechtlichen Liebe hingegen wird implizit eine Absage erteilt. Sie lässt sich in Menschs Texten weder mit der beruflichen und persönlichen Entfaltung der Frau verbinden, noch durch gesellschaftliche Zwänge oder Notwendigkeiten rechtfertigen. Durch die Platzierung in der Nähe von Kriegsschauplätzen wie in den Romanen „Gefährliche Strassen“ (1929) und „Seele im Gefängnis“ erhält Heterosexualität bei Ella Mensch einen martialischen Anstrich, so sehr die Autorin auch bemüht ist, den erlittenen Kriegstraumata eine kathartische Wirkung zuzuschreiben.


Ella Mensch lebte in einem frauenorientierten und –bezogenen Umfeld. Als sie 1904 nach Berlin kam, wo sie bis zu ihrem Lebensende bleiben sollte, übernahm sie dort als Nachfolgerin von Helene Stöcker (1869-1943) die Redaktion der „Frauen-Rundschau“ (vorm. „Dokumente der Frau“, v. Marie Lang). Dort arbeitete sie u.a. mit Dr.jur. Marie Raschke zusammen.


Ella Menschs Position in der Frauenbewegung war darauf angelegt, einem Humanitätsideal zum Durchbruch zu verhelfen, das auf einer anti(hetero-)sexuellen Matrix angesiedelt war. Insofern stand sie den „Gemäßigten“ nahe. Den „Radikalen“ der Frauenbewegung widersetzte sie sich (s. ihre 1906 erschienene Schrift „Bilderstürmer in der Berliner Frauenbewegung“). Polemik blieb dabei nicht aus. Ella Mensch befürchtete mit der Billigung der unehelichen Mutterschaft oder dem Bejahen der Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft eine Abwertung des zölibatären Lebensstils und eine Geringschätzung der Leistungen der berufstätigen, nicht verheirateten Frau. Weiblicher Leistungsbereitschaft und Tatkraft zollte sie selbst allergrößten Respekt. So würdigte sie in längeren Abhandlungen die preußische Königin Luise und die hessische Prinzessin Alice. Zeitgenossinnen wie etwa die Schriftstellerinnen Ida Boy-Ed, Frieda von Bülow oder Emma Vely standen ihr persönlich nahe. Sie pflegte ihre Freundinnenschaften über Jahre hinweg und ermutigte andere Frauen stets, sich zu Wort zu melden, ihre Interessen wahrzunehmen oder auch ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Mit der Schriftstellerin Anna von Krane (1853-1927) zusammen edierte sie eine Gedichtsammlung.



© Gabi Einsele (Zürich 2005)


Zitiervorschlag:
Einsele, Gabi: Ella Mensch (1859 -1935) [online]. Zürich 2005. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane. URL <https://www.lesbengeschichte.org/bio_mensch_d.html> [cited DATE].