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Theo Schücking (1850-1903), Meta von Salis-Marschlins (1855-1929),
Hedwig Feigenwinter-Kym (1860-1949)


Die Tochter des Schriftstellers Levin Schücking und der Erzählerin Louise von Gall wuchs in einer von Sprache und Kultur geprägten Umgebung auf. Die Mutter schrieb Frauennovellen und behandelte mutig soziale Fragen, starb aber früh. Der Vater gehörte ins Umfeld der durch ihre Memoiren einer Idealistin bekannt gewordenen Malwida von Meysenburg, die in Italien lebte. Dort lernt Theo Schücking im Winter 1878 Meta von Salis kennen, worauf sich die beiden während eines halben Jahres beinahe täglich treffen. „Von Zeit zu Zeit mit Dir zusammenzukommen, scheint mir schon nicht mehr eine Ausschmückung, sondern ein Bedürfnis meines inneren Lebens“, schreibt Theo Schücking und sieht ihre Zukunft nun nicht mehr grau. Sie trägt einen Ring von Meta und schreibt ihr Briefe nach Naumburg in Deutschland, wo Meta von Salis ihre erste Erzieherinnenstelle versieht. Sie schildert darin auch ihre Auffassung von Liebe und Freundschaft:


"Weisst du, l. Meta, dass mir der Verheiratungsplan deines Vaters grosses Vergnügen gemacht hat? Es hat etwas so unbeschreiblich Komisches, die Idee, dich wie jedes Schablonenmädchen unter die Haube bringen zu können, wieviel Enttäuschungen wird dein Papa da noch durchmachen müssen. Liebe – dies seltsame Wort, das dem Einen dies, dem Anderen das bedeutet, ich möchte es nicht immer so streng unterschieden von Freundschaft haben, mir scheint: eine grosse Freundschaft zwischen zwei Frauen ist Liebe, viel häufiger als das Gefühl zwischen Mann und Frau es ist, das meistens zwischen „flirtation“ und Leidenschaft schwankt; meistens sage ich, nicht immer, meiner Natur nach würde ich nicht sagen; je pense, donc je suis, sondern j’aime, donc je suis."1


1883 brach die Beziehung ab. Meta von Salis beurteilt ihre Rolle dabei kritisch:
"In diesem Zeitpunkt tat ich etwas Unglaubliches, Etwas, das ich mir aus der Entfernung und bei kühler Betrachtung nur aus einem Fanatismus der Don Quixoterie oder Selbstzerfleischung erklären kann, denen ich mehrmals im Leben meine Ruhe und mein Glück, diesmal aber auch eine unersetzliche Freundin opferte. Aus Verblendung setzte ich ein Verhältnis aufs Spiel, dessen segensreiche Wärme ich Jahre hindurch aufs bitterste entbehren und dessen Fehlen die Herbheit meines Wesens steigern sollte /.../“2 Um 1900 traf Meta von Salis Theo Schücking in Rom und lud sie nach Capri ein. Der Besuch fand nicht mehr statt. Theo Schücking erkrankte und starb kurz vor der geplanten Reise.


"Eine verhinderte Schriftstellerin» nennt Doris Stump Meta von Salis in ihrer Dissertation über die Schriftstellerin und Frauenrechtskämpferin. Sie meint damit, dass sich Meta von Salis an den Einschränkungen, die ihr als weibliches Wesen galten, trotz ihres anfänglichen Kampfwillens und Optimismus so sehr verletzte, dass sie an diesen Widerständen zerbrach. Den grössten Teil ihres Werks schrieb sie zwischen 1881 und 1892, zwischen der Loslösung vom Elternhaus und der Verhaftung von Caroline Farner, Anna Pfrunder und Frau Pfrunder-Schelling. Nach ihrer eigenen Verurteilung schrieb sie keine utopischen Gedichte und keine Belletristik mehr; Resignation ist in den späten Gedichten vorherrschend, während die Aphorismen angriffig und ätzend bleiben: "Sogar die Pest würde man heutzutage heiraten, wenn sie reich wäre."3 Während des Ersten Welkriegs ist Meta von Salis noch einmal rege publizistisch tätig. Sie bekämpft menschenverachtende Verhaltensweisen und setzt sich für ein würdiges Leben ein – für Frauen und Männer.


1884 schrieb sie ein langes Gedicht über den Stammsitz der Familie Salis-Marschlins, „In der Mondnacht“, in dem es unter anderem heisst: „Ich litt zu viel in dieses Rahmens Glanz / und stiess zu blutig mir die Flügel einst / am Gitter dieses Kerkers – durch den Frieden / der lauen Nacht wogt die Erinnerung / an Bitternis.4“ Damals hing sie noch an dem Ort, an dem sie dann ab 1887 mit Hedwig Kym auch wieder zeitweise wohnte. Als aber der Kanton Graubünden die Bereitschaft zeigte, sie an den Kanton St. Gallen auszuliefern, in welchem sie wegen Ehrverletzung eine Busse bezahlen und ihre Haft absitzen sollte, da war sie dermassen desavouiert, dass sie ihr Schloss verkaufte und nach Italien auswanderte.


Agnes Bluhm, die über Clara Willdenow 1885 mit dem Zürcher Nietzsche-Kreis bekannt wurde und mit einem Teil der zugehörigen Personen am selben studentischen Mittagstisch sass, schrieb über Meta von Salis: „Sie war hochbegabt – und Nietzsche hat sie offensichtlich sehr geschätzt –, aber von einer Steifheit und Kälte, die sich mir fast körperlich fühlbar machte, so dass ich sie instinktiv ‚der Gletscher’ nannte.“ Meta von Salis wusste um ihre Herbheit, wie aus der Stelle über den Bruch mit Theo Schücking hervorgeht. Im ersten Band der beabsichtigten Romantrilogie „Die Schutzengel“ beschreibt sie die Motive ihres Alter Ego, Isa von Tiefensee, für das Studium der Rechte wie folgt: „Es ist nicht Sache ausgesprochener Neigung bei mir, dass ich gerade Jus gewählt habe. Lieber wäre mir Philosophie gewesen /.../ Aber wer mit seinen Idealen siegen will, muss selten und nur in auserwählten Kreisen von ihnen sprechen, und wer dem bestehenden Leben gegenüber mit seinem Streben nach einem lichteren Diesseits Recht behalten möchte, der darf die fremdartigen Sonnen seines Herzens nicht in ungeübte Augen brennen lassen, sondern muss sein Thun und Halten von innen heraus so mit ihrer Wärme durchdringen und durchtränken, dass Andere von selber darnach lüstern werden zu wissen, was ihm so viel Muth und Kraft und Liebe gibt. Niemand thun ernste Anwälte mehr noth, als den Frauen, doch nicht Wolkengänger und viel minder Maulwürfe des Stoffes, sondern jenen heissen Quellen, die unter Gletschern hervorsprudeln vergleichbar, geschäftskundige, welt- und wortgewandte Vertreter, die ihr Herz in Eisen panzern, sowohl gegen die Weichlichkeit als auch gegen die Erstarrung."5


Sie selber studiert Geschichte, Philosophie, Kunstgeschichte und Rechtswissenschaften und doktoriert als erste Schweizerin an der Philosophischen Fakultät (I. Sektion) in Zürich. Das Geld zum Studieren hat sie sich als Erzieherin verdient. Obwohl Meta von Salis sich weder im Frauenverband Fraternité noch an den neu gegründeten Bildungsreform- und Rechtsschutzvereinen beteiligen will, engagiert sie sich doch für Frauenbelange, indem sie in verschiedenen Schweizer Zeitungen Artikel schreibt, darunter auch die Ketzerischen Neujahrsgedanken einer Frau, in denen sie sich zum Stimmrecht äussert.
Längst hat sie in einer Vorlesung des Philosophieprofessors Kym dessen Tochter Hedwig kennen gelernt und sich mit ihr befreundet. Zusammen besuchen sie Friedrich Nietzsche in Sils Maria, leben auf Schloss Marschlins oder machen ausgedehnte Reisen. Beide schreiben für die Philanthropin, die Zeitschrift des Frauenverbands Fraternité.


Da werden Caroline Farner, Anna Pfrunder und deren Mutter verhaftet, und Meta von Salis empört sich über die Machenschaften des Oberrichters Wittelsbach. Sie schreibt ihre Verteidigungsschrift der Freundinnen auch im Hinblick darauf, seine Wiederwahl zum Richter zu verhindern. Für diese Schrift wird sie verurteilt, tritt die Strafe an und verkauft in der Folge den Familiensitz, um sich mit Hedwig Kym in Italien niederzulassen.


Die Tochter des Philosophieprofessors Ludwig Kym lernt als Hörerin ihres Vaters die Studentin Meta von Salis kennen, woraus „/.../ nicht nur eine innige Freundschaft, sondern ein Bund zu gemeinsamer Lebensgestaltung, ein seelisches Zusammenwachsen seltenster Art /.../“6 entsteht. Später übernimmt sie die Redaktion der Philanthropin und veröffentlicht eigene Beiträge, vor allem Gedichte. Ihre Freundin von Salis schreibt Reiseimpressionen, Historisches und Kunstgeschichtliches, die Ärztin Farner hingegen betreibt medizinische Volksaufklärung, und Pauline Bindschedler – oder wer sonst gerade dieses Amt innehat – schreibt als Aktuarin der Fraternité die Verbandsnachrichten.


Hedwig Kym begleitet Meta von Salis nach Capri, wo sie sechs Jahre in der Villa Helios wohnen. Später heiratet sie den Basler Anwalt Ernst Feigenwinter, der sowohl Caroline Farner als auch Meta von Salis vor Gericht vertreten hat. Nach einigen gemeinsamen Jahren stirbt er, und Hedwig Feigenwinter-Kym lebt wieder mit ihrer Freundin zusammen, die 1910 mit ins gleiche Haus nach Basel gezogen ist. Nach dem Tod von Meta von Salis holt Hedwig Feigenwinter Metas Tagebuch aus dem Nachlass. Ob sie es nur lesen wollte oder die Absicht hatte, es zu vernichten, ist ungewiss: Das Tagebuch ist seither verschollen. Hedwig Feigenwinter-Kym überlebt Meta von Salis um zwanzig, ihren Mann um dreissig Jahre.



© Regula Schnurrenberger (Zürich 2002)


Zum Weiterlesen:


- Berta Schleicher: Meta von Salis-Marschlins, Rotapfel-Verlag, Erlenbach 1932; - Hedwig Kym: In memoriam Meta von Salis/Marschlins, Schuler, Chur 1929


- Meta von Salis-Marschlins: Die unerwünschte Weiblichkeit. Autobiographie, Gedichte, Feministische Schriften, hg. v. Doris Stump, paeda media, Tahlwil 1988; - Chratz & Quer. Sieben Frauenstadtrundgänge in Zürich, Limmat Verlag, Zürich 1995, u. a. S. 276, 282-285


- Doris Stump: Sie töten uns - nicht unsere Ideen. Meta von Salis-Marschlins (1855–1929). Schweizerische Frauenrechtskämpferin und Schriftstellerin, paeda media, Thalwil 1986


- Dies.: «Nietzsche sprach von seinen geistigen Interessen ...» – Meta von Salis‘ Begegnung mit Friedrich Nietzsche. In: Nietzsche und die Schweiz, Zürich 1993


- Carol Diethe: Vergiss die Peitsche. Nietzsche und die Frauen, Europa Verlag, Hamburg 2000.


Quellennachweise:


- Meta von Salis und Hedwig Kym vor der Villa Helios in Capri (Privatbesitz)


- Meta von Salis-Marschlins: Ketzerische Neujahrsgedanken einer Frau. Beilage der Züricher Post vom 1. Januar 1887, abgedruckt in Susanna Woodtli: Gleichberechtigung. Der Kampf um die politischen Rechte der Frau in der Schweiz, Huber, Frauenfeld 1975.




1 Stump 1986, S. 69.
2 Stump 1986, S. 69/70.
3 Stump 1986, S. 154.
4 7. von 25 Strophen.
5 Bd. 1, 1889, S. 18/19.
6 Schleicher, S. 53.
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Zitiervorschlag:
Schnurrenberger, Regula: Theo Schücking (1850-1903), Meta von Salis-Marschlins (1855-1929), Hedwig Feigenwinter-Kym (1860-1949) [online]. Zürich 2002. Available from: Online-Projekt Lesbengeschichte. Boxhammer, Ingeborg/Leidinger, Christiane. URL <https://www.lesbengeschichte.org/bio_schuecking_d.html> [cited DATE].