Brief von Christiane von Lengerke


Ein Brief zum 120. Geburtstag und zur Gedenksteinsetzung für Gertrude Sandmann:


Aus der Ferne, ganz nah


Liebe FreundInnen am Gedenkstein für Gertrude Sandmann,

ich möchte die Freude mit Euch teilen, dass nun mit diesem Stein die Erinnerung an die tapfere, kreative und liebevolle Frau Gestalt bekommen hat, die ich eine Freundin nennen durfte. Sie ist als Künstlerin ja nun wiederentdeckt, als Verfolgte wahrgenommen und geehrt, aus dem Vergessen gehoben.

Ich möchte sie als verständnisvolle, tolerante und nimmermüde Unterstützerin von uns Lesben - in ihrer Diktion" Lesbierinnen" - der 70er und 80er Jahre ins Gedächtnis rufen.

Gertrude, die ihr Leben lang lesbisch lebte, langjährige, glückliche Frauenbeziehungen genoss, hat diese nie verborgen. Sie ist uns Vorbild geworden, weil sie unverblümt und überzeugungsstark für das "Anders-Sein" eintrat.

So schrieb sie mir zur Gründung der "Lesbischen Lehrerinnen-Gruppe" 1980:
"Eure Initiative ist sehr gut und wichtig. Abgesehen von dem Versteckspiel - dass die Mädchen die Heterosexualität nicht als einzige Möglichkeit vorgeführt bekommen und (sehr notwendig), die, welche "anders" sind, sich nicht völlig verloren und einsam fühlen, sondern einen Menschen erleben, der sie versteht und ermutigt. Hätte man doch das in der frühen Jugend gehabt! Wie hätte es alles erleichtert!"

Welches Glück, dass wir durch Gertrude ermutigt wurden.
Ähnliches Verständnis zeigte sie für die versteckt lebenden älteren Lesben in Berlin 1974. So hat sie mitgewirkt bei der Gründung der Berliner Gruppe L 74 (Lesbos 1974) und ihrer UKZ, "Unsere Kleine Zeitung". Diese hat ab 1975 als erste lesbische Zeitschrift im Nachkriegsdeutschland eine Öffentlichkeit für frauenliebende Frauen geschaffen.

Auf die Gruppe L 74 hat Gertrude Sandmann stetig Einfluss genommen über Kitty Kuse, mit der sie regelmäßig telefonierte, über Beiträge in der UKZ und schließlich mit dem Titelbild der UKZ.

Die Zeichnung der einander zugewandten Frauenprofile sehen Sie jetzt auf dem Gedenkstein. Sie erinnert symbolisch an die Künstlerin, die Unterstützerin der frühen Lesbenbewegung und die liebevolle Freundin.

Ich wünsche mir, dass dieses "Denk-Mal" Gertrude Sandmann lange in unseren Erinnerungen lebendig halten möge und die, die sie noch nicht kennen, aufmerksam machen möge auf eine Nicht-zu-Vergessende.

Christiane von Lengerke (Mallorca 2013)